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Im Fokus

„Wir können unsere Körperlichkeit überhaupt nicht vergessen.“

Im zurückliegenden Wintersemester startete an unserer Fakultät das vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF finanzierte und auf vier Jahre angelegte Forschungsprojekt „Verkörperung in der Theologischen Anthropologie“. Leiter des Projekts ist der Professor für Dogmatik Johannes Hoff, der es gemeinsam mit dem promovierten Philosophen und Doktoranden in Theologie Enrico Grube durchführt. Im Gespräch mit den beiden Wissenschaftlern versuchen wir ein wenig das Geheimnis zu lüften, was hinter dem einerseits einfach erscheinenden, andererseits aber doch auch rätselhaften Titel des Vorhabens steckt.

Enrico, Du bist seit Oktober letzten Jahres als Projektmitarbeiter im FWF-Projekt „Verkörperung in der Theologischen Anthropologie“ an unserer Fakultät angestellt. Deine Hauptaufgabe besteht also in der Erforschung dieses Themas. Kannst Du unseren Leserinnen und Lesern möglichst kurz und einfach erklären, worum es dabei geht?

Enrico GrubeEnrico Grube: Wir untersuchen die Rolle des Leibes in der Theologie. Dabei geht es uns vor allem um grundlegende systematische Fragen: Wie wird in der christlichen Theologie der Tradition und Gegenwart die Beziehung zwischen Leib und Seele gesehen, oder präziser gesprochen: zwischen einem lebendigen Leib und einem bloßen Körper oder Leichnam? Was hat der Leib mit Gnade und Erlösung zu tun? Welche Rolle spielt dabei die Inkarnation, dass Gott in Jesus Christus Fleisch geworden ist? Sind wir grundlegend ‚Seelen‘, die einen Leib wie ein Werkzeug haben? Oder sind wir nur eine Art Computerprogramm, das auf einem ‚organischen System‘ läuft und genauso gut auf eine andere ‚Hardware‘ übertragen werden könnte? Oder gibt es einen dritten Weg zwischen diesen Optionen? Was ist der Stellenwert einer Doktrin wie der Auferstehung des Leibes im Zeitalter der modernen Kognitionswissenschaften? Kann man so etwas überhaupt heute noch verstehen und vertreten?

Johannes, Du leitest das eben beschriebene Projekt. Gerade der christlichen Tradition und Theologie wird oft Leibfeindlichkeit vorgeworfen. Ist dieser Vorwurf aus der Perspektive des Dogmatikers berechtigt?

Johannes HoffJohannes Hoff: Je mehr ich mich in meinen Forschungsarbeiten in dieses Problem vertieft habe, desto mehr wurde mir klar, dass es sich bei diesem Vorwurf um das handelt, was Sigmund Freud eine Deckerinnerung nannte: Wenn Sie einer alten Dame die Handtasche klauen und dann auf einen anderen zeigen mit den Worten: „Da ist der Dieb!“, dann versuchen Sie sich aus der Affäre zu ziehen. In unserem Fall ist der angebliche Dieb schon tot und gemeint ist zumeist Platon. Das soll der Dualist sein, er war der Böse und wir Heutigen versuchen nur, uns davon zu befreien. Doch die gleichen Leute, die sich von Platon zu befreien versuchen, sind dann wie die Transhumanisten die brutalsten Dualisten, welche die Geschichte menschlichen Denkens je hervorgebracht hat. Die geschmähte platonische Tradition hat sich am Dualismus-Problem so abgearbeitet, dass sie das Denken in simplizistischen Gegensätzen problematisierte und schließlich, im Gefolge des Christlichen Platonismus, immer entschiedener in Richtung eines holistischen Denkens auflöste, während die Moderne wie selbstverständlich davon ausging, dass man hier klar trennen und unterscheiden könne, um dann ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit, in der wir leben, über die Frage zu streiten, wie man zwischen den Extremen vermittelt, oder ob nur das eine oder das andere als real zu betrachten sei. Es ist kein Zufall, dass eines der bekanntesten schwierigen Kapitel des mittelalterlichen Christentums die Auseinandersetzung mit der Bewegung der Katharer war: Die Christen waren nicht auf der Seite der Dualisten, sondern auf der Seite derer, die die Dualisten verfolgten.

Das Projekt will zeitgenössische Kognitionspsychologie und Technikphilosophie mit klassischen Denkern wie Augustinus oder Thomas von Aquin in Verbindung bringen. Wie kann dieser Brückenschlag gerade in einem Bereich gelingen, in dem die naturwissenschaftlichen Grundlagen und Kenntnisse sich so stark verändert haben?

Enrico Grube: Augustinus und Thomas liefern uns ja keine naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern grundlegende philosophisch-theologische Rahmentheorien. Es gibt im Grunde genommen drei Ansätze zu der Frage, was der Mensch ist: Dem Materialismus zufolge sind wir nichts als Gehirne mit einem Leib als Weltinteraktionswerkzeug. Kartesischen Theorien zufolge, die oft auch in der Theologie vertreten werden, sind wir zwei Substanzen, eine körperliche und eine geistige, die miteinander interagieren. Diese beiden Theorien sind, trotz all ihrer Streitpunkte, im Grunde genommen sehr ähnlich: Sie betrachten den Leib als sekundär, nicht Teil des ‚Eigentlichen‘, das uns ausmacht. Das ‚Eigentliche‘ ist entweder eine geistige Substanz oder das Gehirn. Die traditionellen christlichen anthropologischen Ansätze, die sowohl in Augustinus‘ relationaler Anthropologie als auch in Thomas‘ aristotelischem Hylemorphismus gefunden werden können, sind da grundlegend anders: Sie sehen Leib und Seele als holistische Einheit. Thomas zufolge ist die Seele die Form eines Körpers – erst beides zusammen ergibt überhaupt so etwas wie ein Individuum. Das passt viel besser zu einer zeitgemäßen verkörperten Anthropologie, wie sie in der Phänomenologie seit Maurice Merleau-Ponty und den Diskussionen der zeitgenössischen ‚verkörperten‘ Kognitionswissenschaften entwickelt wurden. Übrigens liegen wir damit im Trend: Sogenannte ‚neo-aristotelische‘ Ansätze werden in der Philosophie gerade heiß diskutiert, und neo-augustinische Thesen in der (vor allem englischsprachigen, internationalen) Theologie.

Der israelische Historiker Yuval Noah Harari geht in einem seiner Bücher auf die Idee von Mark Zuckerberg ein, dass Facebook helfen könnte, die Menschheit zu einen. Harari sieht das kritisch und meint: „Ein entscheidender Schritt zur Einigung der Menschheit besteht darin, anzuerkennen, dass die Menschen Körper haben.“ Was bedeutet es für die Gegenwartsgesellschaft, wenn wir auf unsere Körperlichkeit vergessen?

Enrico Grube: Wir können unsere Körperlichkeit überhaupt nicht vergessen. Sie holt uns ja immer wieder ein. Die transhumanistische Pseudo-Theologie, die in vielen Techkonzernen wirkmächtig ist: dass wir uns irgendwann einmal in einen Computer einspeisen und unsere Körperlichkeit hinter uns lassen können, halte ich nicht nur philosophisch für Unsinn, sondern auch für sehr gefährlich. Sie will uns einreden, dass wir Wesen sind, die sich irgendwann einmal von der Natur befreien können. Wenn wir das glauben, behandeln wir die Natur letztlich auch so: als etwas, das es zu überwinden gilt! Wie wir über den Menschen denken, beeinflusst also auch unser Denken über die Notwendigkeit nachhaltigen Handelns und Wirtschaftens. Letztlich sind Ideologien, die uns unsere Körperlichkeit vergessen lassen wollen, nichts als technokratische Trugbilder, die sehr gut zum gegenwärtigen internationalen Hyperkapitalismus passen. Das Christentum ist da anders: Die Schöpfung liegt ja mit uns gemeinsam in den „Geburtswehen“! Unser „Heil“ ist von dem ihrigen gar nicht zu trennen.

Dein Buch „Verteidigung des Heiligen“ von 2021 beschäftigt sich ebenfalls mit Anthropologie, stellt diese aber ganz zentral in den Kontext der digitalen Transformation. Welchen Beitrag kann eine christliche Theologie zur Bewältigung dieser technikgetriebenen Entwicklungen leisten, die wir gerade erleben?

Johannes Hoff: Der Titel meines Buchs knüpft an das holistische Denken vormoderner, christlicher Metaphysik an, das sich – wie bereits angedeutet – in Denkern wie Platon und Aristoteles oder Thomas und Nikolaus von Kues artikulierte. Der moderne Bruch mit dieser Tradition wurde durch die dataistische Metaphysik der „Gutenberg-Revolution“ inspiriert und gipfelte in der These, dass menschliche Intelligenz – wie bei Kant – das Ergebnis einer Synthese elementarer sensorischer Daten ist.

Die Tatsache, dass das Geschäft der Datensynthese durch „künstliche Intelligenzen“ erledigt werden kann, ruft demgegenüber dreierlei ins Bewusstsein: Erstens ist die spätmoderne Verwechslung von menschlicher mit „künstlicher Intelligenz“ das Ergebnis einer reduktionistischen Metaphysik, die eine ungesunde Angleichung menschlicher Kognition an die Arbeitsweise von Maschinen hervorgerufen hat. Zweitens: Um zu stärken, was menschliche Intelligenz von probabilistischen Rechenmaschinen unterscheidet, muss die ontologische Einheit von Wahrem, Gutem und Schönem wieder erschlossen werden. Drittens: Wie die jüngsten Forschungen zur Human Computer Interaction (HCI) zeigen, erfordert dies eine Revision unserer modernen, instrumentellen Haltung gegenüber artifiziellen und natürlichen Objekten, die im Zeitalter der Reformation aufkam und den Entzauberungsmythos moderner Denker wie Max Weber inspirierte. Unser Umgang mit technischen Artefakten hängt an der verschütteten Gabe, zwischen „guter und schlechter“ Magie zu unterscheiden – zwischen der Bindung an Objekte der Sammlung, die unser Streben nach Einheit und Ganzheit unterstützen, und der Bindung an Objekte der Zerstreuung, die uns in idolatrische Bindungen verstricken.

Ihr habt im vergangenen November gemeinsam mit internationalen Nachwuchsforscherinnen und -forschern eine Fachtagung unter dem Titel „Trinitarische Technikanthropologie“ veranstaltet. Solche Veranstaltungen sind Teil des vorgestellten Projekts. In welcher Weise sollen die Erkenntnisse und Erträge der wissenschaftlichen Community und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden?

Enrico Grube: Das waren sehr fruchtbare und intensive Tage, die uns auch gezeigt haben, wie viele junge Talente in Philosophie und Theologie unsere Anliegen teilen, und wie vielfältig die Themenpalette in diesem Feld ist. Die Beiträge werden Anfang 2025 in einem Sonderheft der Zeitschrift für Theologie und Philosophie veröffentlicht.
  

Das Interview mit Johannes Hoff und Enrico Grube führte Dekan Wilhelm Guggenberger.

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