Vortrag zum 20. Todestag von Raymund Schwager
Am 27. Februar war der 20. Todestag von Raymund Schwager. Michael Kirwan hielt am 4. März 2024 einen Gastvortrag über den Innsbrucker Theologieprofessor, nachdem am Vormittag bereits im Semestereröffnungsgottesdienst unserer Fakultät seiner und Karl Rahners gedacht worden war, dessen Geburtstag sich am 5. März dieses Jahres zum 120. Male jährte.
Michael Kirwan, der in Dublin am Trinity College lehrt und Direktor des dortigen Loyola Institute of Theology ist, wollte eigentlich für den Vortrag nach Innsbruck kommen. Eine Erkrankung verhinderte das allerdings; zum Glück konnte er aber seinen Vortrag mit dem Titel „Raymund Schwager: Theologie und Spiritualität aus ignatianischem Habitus“ online halten.
Der Madonnensaal war gut gefüllt, als Kirwan sich der Frage stellte, ob es denn überhaupt so etwas wie eine ignatianische oder jesuitische Weise, Theologie zu treiben, gebe, und wenn ja, wie sich diese im Werk Schwagers zeige. Er verwies dabei auf Schwagers Interpretation der Geisterfahrung des Ignatius am Fluss Cardoner. Schwager richtete dabei sein Augenmerk v.a. darauf, wie diese Erfahrung Ignatius von problematischen Tendenzen der Selbstaggression und des Selbstbetrugs erlöste, und wie doch diese Problematiken in jedem Menschen anzutreffen sind, sodass ähnliche Vorgänge auch in den Exerzitien zu beobachten seien. Kirwan betonte, u.a. mit Berufung auf Philip Endean, dass die Berichte des Ignatius nicht als historisch exakte Darstellungen, sondern als stilisierte Erzählungen in didaktischer Absicht zu lesen seien, aus denen die Exerzitien erwuchsen. Sodann argumentierte Kirwan, dass die fünf Akte des Heilsdramas nach Schwager und die vier Wochen der ignatianischen Exerzitien parallelisiert werden können, auch wenn das rein mathematisch nicht ganz aufgehe.
Nach dem Vortrag blieben die physisch Anwesenden bei einem vinum academicum noch eine Weile zusammen, tauschten sich über Kirwans Vortrag und über die Person Raymund Schwagers aus. (Nikolaus Wandinger)
Aquinas Lecture 2024
Gastvortragender der diesjährigen Aquinas Lecture war Thomas Fuchs, Karl-Jaspers-Professor für Philosophie und Psychiatrie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg. Die Aquinas Lecture fand am 22. Februar 2024 im Rahmen der Tagung der Arbeitsgemeinschaft deutschsprachiger Philosophinnen und Philosophen an katholisch-theologischen Fakultäten statt, dessen Vorsitz derzeit Josef Quitterer innehat. Die Tagung war dem Thema embodiment gewidmet.
Im Ansatz der embodied cognition wird die körperliche Verfasstheit und Motorik des Menschen als integraler Bestandteil seiner geistig-kognitiven Dimension angesehen. Darüber hinaus wird auf die körperlichen Aspekte geistiger Aktivitäten hingewiesen. Bei der Tagung wurde nicht nur die Tragfähigkeit dieses neuen Ansatzes für die Philosophie des Geistes und die philosophische Anthropologie geprüft. Es wurde auch die Frage behandelt, inwieweit die Denkmodelle des embodiment-Ansatzes geeignet sind, spezifisch christliche Glaubensinhalte wie die Auferstehung des Leibes und die Inkarnation neu zu denken.
Thomas Fuchs verwies in seinem Vortrag mit dem Titel „Leben und Erleben – das Gefühl des Lebendigseins“ auf die komplexe Verknüpfung zwischen dem organischen Prozess des Lebens und der subjektiven Erfahrung, oder zwischen Leben und Erleben. Auf dieser Basis argumentierte er dafür, dass das Selbsterleben nicht als ein interner mentaler Raum oder ein „Selbstmodell“ aufgefasst werden kann, das irgendwo im Organismus produziert wird, sondern dass es eine Manifestation des Lebens des Organismus als Ganzem ist. Die hinreichende Basis des Selbstbewusstseins kann nach Fuchs nicht in einzelnen „neuronalen Korrelaten des Bewusstseins“ gefunden werden, sondern nur in der Selbstorganisation und dem Lebensprozess des Organismus in seiner Beziehung zur Umwelt.
Nach dem Vortrag von Thomas Fuchs wurde die Tagung an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen fortgesetzt. (Josef Quitterer)
Friedensethik auf dem Prüfstand
Dürfen Menschen für den Frieden töten? Verliert der Verteidiger sein Lebensrecht? Welche Rolle spielen Religion, Geschlecht und religiöse Diplomatie in gegenwärtigen Kriegen? Können asymmetrische Kriege moralisch gewonnen werden? Welche Perspektiven gibt es in der Ukraine, Israel, Russland, Palästina? Diese komplexen Fragen diskutierten Moraltheolog*innen und Sozialethiker*innen beim 50. Innsbrucker Kreis, der von 3. bis 5. Jänner 2024 im Bildungshaus Seehof tagte.
Die ambivalente Rolle religiöser Diplomatie im Krieg Russlands gegen die Ukraine analysierte Regina Elsner (Münster). Die russisch-orthodoxe Kirche legitimiert aktiv den Krieg als metaphysischen Kampf gegen „Liberalismus“ und „Genderideologie“. Der ideologische Einsatz für ein patriarchales Gesellschaftssystem und sogenannte „traditionelle Familienwerte“ verbindet die russisch-orthodoxe Kirche, den Vatikan, viele Mitglieder des Ökumenischen Rats der Kirchen und politisch-autoritäre Regime und macht Friedensinitiativen des Hl. Stuhls und des Ökumenischen Rats ambivalent. Elsner betonte: „Es gibt keinen gerechten Frieden ohne Geschlechtergerechtigkeit. Dafür muss Theologie auch die eigenen Machtstrukturen und Ideologien hinterfragen.“
Marco Schrage (Academia Alfonsiana, Rom) erinnerte an die Verpflichtung politischen Handelns auf das Gemeinwohl und mahnte, die Unterstützung für die Ukraine in deren Selbstverteidigung noch zu verstärken.
Michael Walzer (Princeton) reflektierte über die Möglichkeit eines „gerechten Kriegs“ im Kontext des Kriegs zwischen der Hamas und Israel. Israel steckt laut Walzer in der „asymmetrischen Falle“ eines Kriegs, der von der Hamas konstruiert wurde. Tote Zivilisten werden von der Hamas bewusst einkalkuliert. Die Frage sei weniger, wie man einen asymmetrischen Feind militärisch besiegt, sondern ob ein Sieg auch moralisch möglich sei.
Mit Walzers These der moralischen Gleichheit von Kombattanten setzte sich Stefan Hofmann SJ (Innsbruck) auseinander. „Moralische Gleichheit ist die Grundlage für ethische Mindeststandards im Krieg. Aber wir müssen vorsichtig sein und das ‚ius in bello‘ und ‚ius ad bellum‘ nicht voneinander trennen. Der gerechtfertigte Verteidiger, wie z.B. die kurdischen Peschmerga gegen den IS, verliert doch nicht sein Lebensrecht.“
Christian Rutishauser SJ, ständiger Berater des Hl. Stuhls für die Beziehungen zum Judentum, erläuterte die komplexen Kontexte des Kriegs zwischen der Hamas und Israel. „Der 7. Oktober ist eine Zäsur im Nahostkonflikt und in jüdisch-christlichen Beziehungen. Plünderung, Folter, Leichenschändung, Kindermord wurden jubelnd von der Hamas der Welt zur Schau gestellt“, sagte Rutishauser. Die Hamas wolle eine universale islamistische Ordnung, Israel/Palästina sei nur der Start. Für viele Juden und Israelis ist der 7. Oktober eine Retraumatisierung, ein neues Pogrom. Rutishauser mahnte, die religiösen Dimensionen des Konflikts zu beachten. Zentral für die Zukunft sei, politische Theologie und interreligiösen Dialog zu verbinden. Wo politische Theologie fehle, seien Fundamentalisten erfolgreich. (Michaela Quast-Neulinger)
Mehr zum Innsbrucker Kreis finden Sie hier.
Workshop „Was ‚kann‘ das Erhabene?“ mit David Wagner
Am 01. Dezember 2023 fand am Institut für Christliche Philosophie ein Workshop zum Begriff des Erhabenen statt, der unter Studierenden verschiedener Fakultäten und Hochschulen reges Interesse geweckt hat.
Am Nachmittag befasste sich eine Gruppe interessierter Studierender unter der Leitung von David Wagner von der Universität Wien näher mit dem Begriff des Erhabenen. Wagner hatte im Sommersemester 2023 ein Seminar mit dem Titel „Was ist Kunst?“ an unserer Fakultät gegeben, weswegen er auf Initiative der Teilnehmer*innen des Seminars zu diesem Workshop, der auf der weiterführenden Lehrveranstaltung an seiner Heimatuniversität Wien basiert, eingeladen wurde. Somit konnten jene, die vergangenes Semester bereits an Wagners Seminar teilgenommen hatten, ihre Kenntnisse in der Kunstphilosophie vertiefen.
Das Erhabene ist spätestens seit dem Ende des 17. Jahrhunderts ein wichtiger Begriff in der Kunstphilosophie, der seine Ursprünge schon in der Schrift Vom Erhabenen (Peri hypsous) des Pseudo-Longinus aus dem ersten Jahrhundert n.Chr. hat, deren Übersetzung (zuerst ins Französische) das Nachdenken neuzeitlicher Philosophen über dieses begrifflich wie phänomenologisch nur schwer fassbare Erlebnis in Gang setzte. Zwei der bedeutendsten Autoren, die sich mit dem Erhabenen auseinandersetzten, waren Edmund Burke mit seinem Werk A Philosophical Enquiry Into the Origin of Our Ideas of the Sublime and Beautiful und Immanuel Kant in seiner Kritik der Urteilskraft.
Diesen drei Werken, bzw. deren je verschiedenen Konzeptionen des Erhabenen, näherte sich Wagner in seinem einleitenden Vortrag, um die Studierenden mit den aktuellen Debatten um diesen paradoxen Begriff vertraut zu machen. Im zweiten Teil des Workshops arbeiteten die Studierenden an Texten der zeitgenössischen Philosophie, die sich vor allem mit der (Un-)Möglichkeit einer Theorie des Erhabenen und deren erkenntnistheoretischen wie ontologischen Implikationen befassen. (Noah Jenewein)
Antrittsvorlesung Prof. Stefan Hofmann
Am 17. November 2023 hielt unser Moraltheologe Stefan Hofmann unter dem Titel „Wann ist weniger 'mehr'?" seine Antrittsvorlesung über ein hochaktuelles Thema: die Frage nach dem guten Leben angesichts oder sogar mittels Reduktion. Die Vorlesung wurde gerahmt durch Grußworte von Dekan und Institutsleiter und Musikstücken eines Novizen und eines Mitbruders aus der Jesuitenkommunität.
Stefan Hofmann begann mit einem Problemaufriss. Unser Ringen nach dem materiellen Mehr führt uns in zwei Krisen: die ökologische Krise und eine Sinnkrise durch materielle Übersättigung. Glück außerhalb von Konsum zu finden, beschäftigt die Philosophie und Theologie seit jeher. Die Lösungssuche beginnt bei der Stoa und führt über Aristoteles’ Tugendethik sowie über den modernen Autor Erich Fromm. Vor allem die Qualität der Tugend des Maßhaltens innerhalb Aristoteles’ Tugendethik erweise sich als dienlich. Mit Blick auf die christliche Tugendlehre sowie die ignatianische Spiritualität spricht aus Hofmann der christliche Theologe und Jesuit. So rege Thomas von Aquin zu einer Ethik an, die das Innere des Menschen betont: Lieber bei einer Sache verweilen als das moderne Touch-and-go. Auch Ignatius betont die Suche nach einem qualitativen statt quantitativen Mehr und bietet für diese Aufgabe hilfreiche Übungen.
Neben Theolog*innen aus dem deutschsprachigen Raum fanden sich auch Familie, Mitglieder des Jesuitenordens und zahlreiche Lehrende und Studierende aus der Fakultät im Publikum. (Sophia Lucke)
Theologie als „liebevoller Streit“
Wie kann eine Theologie jenseits binären Denkens, jenseits der Selbstprofilierung und Hierarchisierung aussehen? Welcher Gott befähigt und verbindet inmitten der Welt? Danach fragte Christine Büchner, Inhaberin des Lehrstuhls für Dogmatik der Universität Würzburg und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Dogmatik und Fundamentaltheologie, bei der 8. Herlinde-Pissarek-Hudelist-Vorlesung am 9. November 2023. Angesichts massiver Polarisierungen in Theologie und Welt brauche es einen neuen Stil des Denkens, der befähigt und kooperativ wirkt.
Insbesondere ökofeministische Ansätze kritisieren seit vielen Jahrzehnten die Verflochtenheit allen Lebens, in dem sich Gott und Welt gegenseitig Kontur geben. „Wir sind alle miteinander verfaltet und in Gott eingefaltet. Das Leben ist unerschöpfliche Multiplizität“, so Büchner im Anschluss an die Theologin Catherine Keller. Wer die Vielfalt des Lebens zu kontrollieren versuche, zerstöre dieses letztlich.
Binäre Theologien der Macht und Kontrolle stehen dem Leben, der Beziehung und der Erkenntnis radikal entgegen. Die großen Theologinnen Teresa von Avila und Hildegard von Bingen hätten jedoch bereits vor hunderten Jahren Strategien einer „Souveränität der Schwäche“ entwickelt. Im Denken Hildegards und Teresas werde Gott sichtbar als sorgend, integrativ, befähigend. Er ist nicht der absolute Souverän, sondern der Gott der Beziehung.
Büchner plädierte für eine „Theologie des Commonings“, in der gemeinsam an einer neuen Zukunft gearbeitet wird, die in diesem Tun erst entsteht. „Wir müssen als Theolog*innen kooperieren und nicht konkurrieren“, forderte die Dogmatikerin. Theologien hätten die Pflicht, dritte Räume zu eröffnen, in denen Polarisierungen und Binaritäten überwunden werden können. (Michaela Quast-Neulinger)
Mehr zur Herlinde-Pissarek-Hudelist-Vorlesung finden Sie hier.